Es ist eigentlich eine lustige Geschichte, wie ich das erste Mal über Gabi gestolpert bin. Die Story muss ich aber woanders anfangen. Nämlich bei dem seltenen Fall in dem aus einer alten Liebe eine richtig ehrliche Freundschaft wurde. So saß ich also letzten Sommer, vielleicht erinnern sich noch ein paar von euch, mit meinem Exfreund am Ostkreuz und habe Schuh-Spenden – Her mit den Botten – für Lesbos gesammelt, die er dann später auf die Insel brachte. Es war so schön zu sehen, dass sich echt viele beteiligt haben! Er erzählte mir von seinen letzten Eindrücken vor Ort. Und unter anderem auch von Gabi. Seitdem erzählt er immer wieder von ihr. Von ihren Projekten, ihrer gemeinsamen Arbeit auf Lesbos und der Balkanroute. Am Ende des Tages ist Gabi nicht nur sein Girlcrush, sondern auch meiner gewesen. Und die Begeisterung möchte ich auch gern mit euch teilen.
Du bist seit ein paar Jahren dabei migrantische Kämpfe zu unterstützen- wie bist du ursprünglich dazu gekommen?
Ich springe seit 2017 immer wieder in dem Aktivismus Kontext herum und kann auch zurück in Berlin nicht so recht die Finger davon lassen. Seinen Ursprung fand das in einer Koch-Gruppe (SadOnes) mit Freund:innen, von der ich lange Teil war. Für ungefähr zwei Jahre veranstalteten wir einmal im Monat einen Soli-Brunch und eine Küfa (Küche für alle). Den Erlös gaben wir dann ganz unbürokratisch dahin, wo es grad nötig war. Hierfür haben wir immer wieder Kollektive und Einzelpersonen gesucht. Dabei bin ich auf die No Border Kitchen auf Lesbos gestoßen. Ein paar Monate später fand ich mich dann selbst auf der griechischen Insel wieder. Mein letzter, fünfwöchiger, Aufenthalt dort war während des Lock Down und kurz nach den faschistischen Attacken auf Geflüchtete.
Das Hauptaugenmerk meiner Arbeit liegt dabei jedoch auf der Balkanroute, also Bosnien und Serbien. Die Lage auf Lesbos ist definitiv eine humanitäre Katastrophe – versteht mich nicht falsch. Aber verhältnismäßig gibt es dort viele Strukturen, die die Geflüchteten unterstützen. Die Leute versuchen nach den ägäischen Inseln über die Balkanroute nach Euopa zu kommen. Auch dadurch, dass die Route immer wieder wechselt, gibt es hier ein handvoll Gruppen die migrantische Kämpfe unterstützen. Hier wird wirklich jede Hand gebraucht. Seit dieser Erkenntnis war ich bereits zweimal in Bosnien und einmal in Serbien, jeweils für ein paar Wochen.
Erinnerst du dich an deinen ersten Tag dort? Was hast du gesehen und gefühlt?
Klar, es gibt viele Momente an die ich mich erinnere. Ich würde dazu gerne zwei rauspicken um die unterschiedlichen Lagen zu einem auf den ägäischen Inseln und zum anderen auf der Balkanroute spiegeln zu können.
Ich fang mal mit einem Erlebnis aus meinem letzten Aufenthalt in Lesbos an. In Moria (das ist das Lager in dem die 20.000 Flüchtenden auf der Insel festgehalten werden) gab es im März einen Band, bei dem zwei Kinder verbrannt sind. Als das Feuer ausbrach, befand ich mich gerade im Lager. Alles ging ziemlich schnell und meine Erinnerungen sind mittlerweile eher diffuse Schleier. Die schwarzen Rauchschwaden sind ca. 20 Meter von mir entfernt gewesen. Die Zelte und Hütten der Menschen liegen dicht an dicht, so dass sich das Feuer verheerend schnell ausbreiten konnte. Es entstand eine Art Massenpanik. Die Geräuschentwicklung von mehreren tausenden oder hunderten Menschen, voller Angst kann man sich wirklich schwer vorstellen. Diese Schreie und die verzweifelten Augen der Menschen bleiben mir sicher noch ein Weile im Kopf und unterfüttern meine Wut auf das Versagen der europäischen Union.
In Bosnien und Serbien ist Flucht ganz präsent auf den Straßen. Immer wieder sieht man Menschen die wie zu einer Wanderung ausgestattet in Richtung Grenze laufen. Kleine und größere Gruppen huschen Tags und Nachts über die Landstraßen. Von dem Haus aus in dem ich wohnte, sah ich oft Gruppen zurück kommen weil sie von der Polizei aufgegriffen worden. Nicht selten war sie verletzt und ohne Gepäck. Die Polizei geht mit einer unwahrscheinlichen Brutalität gegen Fluchtversuche vor, zuletzt wurde ein Mann an einer bosnischen Grenze erschossen.
Für mich war das immer mit viel Fassungslosigkeit und Wut verbunden.
Man sieht in den Medien mal mehr mal weniger über die Flüchtlingssituation auf Lesbos oder Balkanregion – deckt sich die Berichterstattung mit dem was du vor Ort aus erster Hand erlebt hast?
Die Berichtserstattung über die Verhältnisse deckt sich größtenteils schon mit meinen eigenen Eindrücken. Hey, aber wenn wir mal ehrlich sind. Ich könnte es auch nicht verstehen was es heißt, kein fließendes Wasser zu haben und dauerhaft ( auch im Winter) in Zelten zu leben. Das sind einfach Dinge, die man gesehen haben muss um sie wirklich zu verstehen. Jedenfalls ging mir das so. Die Videos z.B. von leftvision sind dabei schon weitaus erfahrbarer.
Wo können Leute eine vertrauliche Berichterstattung herbekommen?
Twitter: Seebrücke, No Nation Truck, Erik Marquardt, No Name Kitchen, leftvision, Aktivist*Innen vor Ort, Areyouserious, bordermonitoring.eu.
Wie sah dein Arbeitsalltag dort aus? Was waren deine Aufgaben?
Die Gruppen in denen ich aktiv war, operierten stets selbstorganisiert. Grundsätzlich ähneln sich die Aufgaben aber. Kleidung verteilen, Medizinische Hilfe leisten, Wäsche waschen, Violence Repors aufnehmen. Also Berichte, bei denen aufgenommen wird mit welchen Strategien die Menschen zurückgedrängt werden von der Grenzpolizei.(https://www.borderviolence.eu/)
Also alles Aufgaben, für die man nicht ausgebildet sein muss. Sondern bei denen es darum geht Grundbedürnisse zu befriedigen und einfach da zu sein. Präsenz zeigen ist eine Waffe.
Wie doll war die Realitätsklatsche, danach wieder hier in Deutschland, mit all den eigenen Privilegien, zu sein? Was hat das mit dir gemacht? Gibts überhaupt ein richtiges „Zurückkommen“?
Das kann ich nicht pauschal beantworten. Ich denke, manche Menschen sehen das als Erfahrung und legen das dann at acta. Es macht einem auf jeden Fall ordentlich Feuer unterm Arsch und lässt Privilegien checken.
Wie bist du generell mit den Eindrücken vor Ort umgegangen?
Ich versuche die Eindrücke durch Infoveranstaltungen festzuhalten. Bzw. bin ich dabei ein Webinare und Workshops zu erstellen. Ich versuche möglichst vielen Menschen davon zu erzählen. Zum einen reflektiere ich dann dadurch für mich selbst. Zum anderen ist es wichtig den Leuten aus erster Hand zu berichten.
Aber was viel wichtiger ist, war das Selbstorganisieren. Aus meinen Ohnmachtserfahrungen heraus habe ich mit Freund:innen ein Kollektiv gegründet. Wir sind der No Nation Truck. Unser Ziel ist es möglichst nachhaltig und effektiv auf die sich immer wieder ändernden Fluchtrouten nach Zentral- und Westeuropa reagieren zu können. Realisierung findet dieses Ziel in Form eines umgebauten LKWs. Aus diesem Gefährt heraus, wollen wir auf den Straßen Serbiens und Bosniens warmes Essen, Tee und Kaffee verteilen. Desweiteren soll unser mobiles Einsatzfahrzeug dazu in der Lage sein 50 Mobiltelefone und Powerbanks gleichzeitig aufzuladen, als auch Raum für geschulte medizinische Erst/Notversorgung bereitzustellen. Wir verstehen unser Projekt als Antwort auf den menschenverachtenden Umgang mit Fliehenden vor den Außengrenzen der Europäischen Union. Die Migrationspolitik der europäischen Staaten verfolgt ausschließlich Einzelinteressen und ist für die Betroffenen eine tickende Zeitbombe. Gegen die Leitlinien dieser Politik und ihrer Akteur:innen positionieren wir uns und sehen darin unser Projekt als notwendiges Zeichen die Balkanregion etwas begehbarer zu machen.
Wir möchten, dass sich unserer LKW ganzjährig auf der Balkanroute befindet und dort perspektivisch mehrere Jahre im Einsatz ist, denn insbesondere in Bezug auf die Tendenzen gegenwärtiger politischer Konfliktfelder ist aus unserer Sicht nicht von einem Abriss der Fluchtbewegungen auszugehen.
Wie schaffst du es nicht den Mut zu verlieren? Was treibt dich an weiterzumachen?
Klar verliere ich den Mut, immer und immer wieder. Ich will das gar nicht schön reden. Hey, und klar ist ein Einsatz eine andere Nummer als einen Sticker mit Seebrücke auf seinen Laptop zu kleben. Aber die brutale Wahrheit ist: Nicht weiter machen, macht‘s auch nicht besser. Für mich ist dass eine gesellschaftliche Verantwortung. Daher treibt mich mein Verwirklichungswille mit dem „No Nation Truck“ an wie ein kleines olympisches Feuer in meiner Brust.
Gab es Momente die dir Kraft gegeben haben? Wo du gemerkt hast „Dafür lohnt sich diese Arbeit.“?
Klar, ich habe viele tolle Menschen kennen gelernt. Mit zwei Freunden die ich aus Lesbos kenne und die selbst in Moria interniert waren, feierte ich 2020 Weihnachten. Das war wirklich schön. Ich bin froh, wenn ich Leute kennenlerne, zu denen ich eine bessere Bindung aufbauen kann. Der Durchlauf an Menschen vor allem in Transitregionen ist einfach zu groß, als dass dort viele, tiefe Freund:Innenschaften entstehen könnten.
In Serbien habe ich mehrfach Kinder getroffen. Ein kleiner Junge, ca. zwölf Jahre alt, hat immer ganz viele Faxen mit mir gemacht. Wir hatten keine Sprach mit der wir uns besser hätten verständigen können. Der Lustige weg war somit eine stille Übereinkunft von uns beiden. Vor ein paar Monaten kam dann die Nachricht, dass er es nach Österreich geschafft hat. Das war ein wirklich froher Moment für mich.
Also zum einen ist da die persönliche Ebene, die ich erfüllte sehe durch Kraft stiftende Momente mit anderen Menschen die ein Stück des Weges mit mir zusammen gehen. Auf der anderen Seite, ist da die politische Ebene. Rein psychologisch ist es wichtig handlungsfähig zu sein. Mein Aktivismus lohnt sich weil ich die Gesamtscheiße nicht akzeptiere und real praktisch etwas tue.
Wie gehts für dich weiter? Was machst du aktuell und wie sehen deine Pläne aus?
Aktuell studiere ich und suche nach einem sinnvollen Master. Ich kurve viel mit meinem T4, ihr Name ist Käthe, umher und versuche mich an der einen oder anderen Ausbesserungsarbeit. Das macht mir total Spaß. Vor allem, weil ich als Frau von sowas ja eigentlich keine Ahnung haben darf, haha.
Wenn alles gut läuft fahre ich mit Käthe diesen Herbst nochmal Richtung Balkan zu Freund:innen.
Zukünftig werd ich sicher mit dem No Nation Truck unterwegs sein. Da muss ich noch ein bisschen Geld zusammenklauben um mir den Truckführerschein leisten zu können. Aber Gut Ding muss Weile haben.
Was können Leute von hier aus tun? Wie können sie helfen?
Die Leute, die an ihrem Wohnort bleiben, aus welchen Gründen auch immer, können echt eine Menge tun. Z.B. Spenden sammeln in Form von Geld oder Kleidung . Also dazu auch einfach mal die aktiven Gruppen vor Ort (habe oben ein paar genannt) fragen wie sie helfen können. Gerade gibt es eine Kampagne mit der No Name Kitchen, die ich auch unterstütze. Hierbei können Leute ihre alten Smartphones abgeben. Die werden auf der Flucht von den Grenzern oft systematisch zerstört.
Könnt ihr irgendwas gut? Z.B. Websites und Flyer erstellen? Buchhaltung? Bei Soli-Parties ne Tresenschicht übernehmen? Anträge schreiben? Einen Lagerraum zur Verfügung stellen. Alle selbst oragnisierten Projekte laufen nur, da es Menschen gibt die Aktiv werden. Und das ist echt vielfältig. Einfach den Projekten schreiben, winken und knuddelig aussehen.
Aber auch Geflüchtete, die bereits in eurer Stadt wohnen, brauchen Unterstützung. Sie einfach teilhaben lassen am normalen Leben und sie nicht als die Anderen zu sehen. Eine Gesprächspartner:in sein oder sie bei Amtsgängen supporten. Habt ihr noch ein Zimmer frei? Ein Soli-Zimmer für Leute mit Fluchterfahrung wird immer gesucht. Euer Umfeld für das Thema sensibilisieren oder einfach selbst nochmal querlesen und Fakten checken.
Da ist genug zu tun, ran an die Buletten!
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